Am Rande des Wahnsinns, total ausgepowert, mit allem überfordert und ohne Aussicht auf einen rettenden Urlaub weil kein Geld für Entspannung in Europa und keine Zeit für Urlaub im fernen Osten verfügbar: das war die Oktotussi vor etwa einem Jahr. Der Weinviertler Jakobsweg und die Reise ihm entlang bewiesen letztlich aber, Anstrengung kann auch erholen.
Echt jetzt? Auf den Jakobsweg willst? Waren die Fragen meiner merklich wenig begeisterten Freunde auf die Verkündung meines Wochenend-Vorhabens. Hier bemerkte ich das erste Mal, dass das Klischee des Jakobsweg-Wanderers als Kirchenstempelsammler wohl tiefer in unserer Gesellschaft zu sitzen scheint als gedacht. Ein kleines Lächeln drückte sich in mein Gesicht.
Die Vorbereitungen waren schnell getroffen. Ich beschloss einen Naturtrip starten zu wollen, einen der Extraklasse. Mit Schlafen in den Feldern, Essen aus dem eigenen Topf und am Besten Nahrung, die ich am Wegesrand gefunden habe. In meinem Rucksack verstaute ich neben meinem Schlafsack, eine Hängematte und eine Plane mit Schnur (die mich im Falle von Regen vor dem Nass schützen sollte), den Campingkocher, die wichtigsten Waschutensilien, ein Tagebuch und Yahooi, den Plüsch-Stellvertreter für meinen Freund.
Die Wanderung
Zwei Tage später stand ich dann in Mikulov, dem tschechischen Grenzstädtchen, in dem der Niederösterreichische Jakobsweg startet. Hier begann eine lange, harte, aber auch wunderschöne Reise. Die zahlreichen Kilometer brachten mich Stück für Stück wieder meinem eigenen inneren Gleichgewicht näher.
Oft fühlt man sich benommen und ausgelaugt von den vielen Kilometern mit dem schweren Rucksack. Der Weg erscheint unendlich und weitermachen sehr schwer. Aber dann, nur wenige Kilometer später, ändert sich die Landschaft, bricht mit dem Gewohnten und erhellt die Stimmung wieder. Im Laufe der Wanderung gab es so viele Höhen und Tiefen, genau wie im Leben. Sich nicht große Gedanken über die Last machen, nach vorne schauen und weitermachen scheint in mehreren Lebenssituationen das Richtige zu sein.
Wenn man am Jakobsweg unterwegs ist und das den Menschen sagt, lernt man sie kennen. Keiner hat Angst, vor einem Pilger er selbst zu sein.
Der Weinviertler Jakobsweg ist kein Ort der großen Bekanntschaften zwischen Menschen. In den ersten vier Tagen an denen ich hier unterwegs war, traf ich keinen anderen Wanderer. Dafür sind Tiere deine ständiger Begleiter. Bienen, Mäuse, Frösche, Schmetterlinge, Hirsche und Rehe. Ich schloss Freundschaft mit einem Schmetterling und das zutrauliche Ding verblieb tatsächlich zwei Stunden an meiner Seite. Wir saßen zusammen auf einer Sommerwiese im Schatten und genossen uns.
Als ich einmal die Muscheln (der Weinviertler Jakobsweg ist wie alle anderen Jakobswege mit gelben Muscheln gekennzeichnet 😉 ) aus dem Auge verloren hatte, traf ich eine Frau, die meinte, dass ich entweder zwei Kilometer zurück wandern und richtig abbiegen oder den Weg direkt durch die Felder wählen könnte. Das abenteuerlichste Stück meines Weges habe ich wohl ihr zu verdanken. Ich glaube nicht, dass sie jemals direkt ins Nachbardorf gelaufen ist, sonst hätte sie gewusst dass man sich zweimal ein Loch buddeln muss um unter Zäunen durchzupassen 🙂 .
An meinem letzten Abend nahm ich einen traurig aber ehrlich aussehenden Mann mit zu mir aufs Feld. Wir aßen zusammen Tortellini und tranken eine Flasche Wein. Er erzählte mir von seiner misslichen Lage, von seinen Sorgen und der Aussichtslosigkeit, die seinen Alltag bestimmt.
In mir kam der Gedanke auf, dass man nur besitzlos wirklich frei sein kann!
Am vierten Tag setzte ich mich wieder in den Bus nach Wien. Knappe zwei Stunden und ich war wieder umgeben von meinem Alltag. Es war eine lehrreiche, erfüllende Zeit, die ich da mit mir selbst, den Tieren und meinen wenigen Bekanntschaften in der Natur verbracht hatte. Zurück im Labor konnte ich mich wieder richtig konzentrieren. Dieselbe war ich nie mehr. Selbst wenn es nur ein kurzer Ausflug war, hatten die Wälder und Wiesen, die eine Zeit lang mein Zuhause waren und die Tiere, die meine Freunde waren, eine tiefe Naturverbundenheit in mir zurück gelassen. Eine Naturverbundenheit, die mich von da an nicht mehr los ließ und die mit der Zeit, allmählich, den Gedanken in einem Haus in der Stadt zu wohnen und in einer Apotheke zu arbeiten in einen schattigen Winkel meiner Vorstellung verdrängte.
Weinviertler Jakobsweg zum Zweiten
Ein anstrengendes Jahr verging bis sich das nächste Mal die Knospen der Frühlingsblumen öffneten. Die Unruhe war schon laut in mir als das Thermometer endlich halbwegs passende Temperaturen anzeigte. Es war soweit! Der zweite Teil des Weinviertler Jakobsweg konnte in Angriff genommen werden.
Dieses Mal zog ich mit einer Freundin los. So wunderschön ich meine Reise im letzten Jahr in Erinnerung hatte, war sie doch auch ein klein bisschen gefährlich gewesen und im Moment sehnte es mich absolut nicht nach Nervenkitzel und eigentlich auch nicht nach Alleinsein. Natur war alles was ich brauchte! Natur pur.
Zu zweit waren die Reisevorbereitungen sehr viel einfacher. Da das Gepäck aufgeteilt werden konnte, war eine ordentliche Portion Luxus im Vergleich zum Vorjahr drin: wir reisten mit Zelt, Isomatten und zu meiner riesengroßen Freude: mit Kaffeemaschine 😀 . Ich muss zugeben, ein Morgen in der Wildnis mit Kaffee ist schon besser als einer ohne: Natur pur hin oder her ;). Auch die Speaker, die ich dabei hatte, wollte ich nicht missen. Scherzend, singend und tanzend erreichten wir in Windeseile Krems und fanden es sehr schade, dass wir schon wieder nach Wien zurück mussten. Es fühlte sich so an, als hätte unsere Reise gerade erst angefangen.
Wars nun besser allein oder gemeinsam??
Das ist die Frage, die sich natürlich alle stellen. Ich muss sagen, ich kann auch jetzt noch keine Antwort darauf geben. Zwei unterschiedlichere Reisen sind kaum vorstellbar. Dies hat zunächst einmal weniger mit meiner Begleitung oder mit der Landschaft zu tun, sondern viel mehr mit mir selbst.
Man verändert sich ja ständig! Und nur weil mir letztes Jahr eine Wanderung allein so viel gab, muss das dieses Jahr ja nicht dasselbe sein. Ich habe meinem Drang jemanden dabei haben zu wollen deshalb nachgegeben und eine wunderschöne Zeit mit meiner Freundin verbracht. Natürlich hat mich ihre Gesellschaft ein bisschen davon abgelenkt die Natur in vollen Zügen zu spüren. Statt stundenlang mit Schmetterlingen zu spielen, habe ich mich lieber mit ihr unterhalten.
Dafür hat sie mich morgens mit einem Liedchen geweckt und mich zum Lachen gebracht. Sie hat mir beigebracht wie Hopfensprossen ausschauen und dass sie wie Spargeln schmecken! Sie hat mit mir geschleppt, gelitten und am Abend Schnaps getrunken. Sie hat mir viel von sich erzählt und ich ihr von mir. Wenn ich nicht mehr weiter konnte, hat sie mich motiviert und wenn ich endlich wieder in Fahrt war, war sie stolz auf mich. Sie hat mit mir die Piratenfahne gehisst!
Ich glaube ja, dass es Zeiten gibt in denen man mit sich allein sein sollte um sich selbst besser kennen zu lernen, seine Grenzen auszuloten, sich aufzuräumen und sich neu zu erfinden. Und dann gibt es Zeiten in denen man zu Zweit sein sollte, Zeiten in denen man jemanden ganz nahe an sich ran lässt und den Zauber genießt, den eine tiefe Bindung ausstrahlt.
Nun zum Selberwegträumen noch ein paar Bilder vom Weinviertler Jakobsweg:
♥ Oktokussi ♥
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Hallo Oktotussi!
Folge dir schon bei Facebook aber jetzt komme ich endlich mal dazu auch die dazugehörigen Berichte zu lesen, zumindest mal einer 😉 und der hat mich nicht enttäuscht! Wirklich toll geschrieben und die bikder machen Laune diesen Weg auch irgendwann mal in seinem Leben selbst zu beschreiten!
Mach weiter so!
LG Silvi von http://www.mogroach.de
Heyy Silvi 😀 Freut mich sehr, dass dir mein Artikel gefällt und ich dich vielleicht auch ins Weinviertel locken konnte!!
In letzter Zeit habe ich immer öfter Berichte über den Jakobsweg gelesen. Mittlerweile habe ich immer größere Lust, auch einen Teil des Jakobswegs zu gehen. Danke für deinen Bericht.
LG Melli
Hey Melli 😀 Freut mich, dass der Bericht in dir ein bisschen Wanderlust weckt 😉 Den Weinviertler Abschnitt kann ich dir wärmstens empfehlen!!